München – 26.01.2022: Seit über zehn Jahren setzt sich der LVkE mit Leidenschaft und Nachdruck für Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe ein. Mit der Online-Fachveranstaltung „Wir sprechen mit… Jugendlichen und Politiker:innen zum Thema Partizipation“ konnte auch im neuen Jahr nahtlos an dieses Engagement angeknüpft werden.
Getreu dem Titel fand die Veranstaltung in einem gänzlich neuen Format statt. So hatten junge Menschen aus der stationären Kinder- und Jugendhilfe nicht nur die Chance, am Event teilzuhaben und gehört zu werden – nein, diesmal hatten sie sogar die Gelegenheit, die Veranstaltung inhaltlich zu steuern: Denn die Workshops, die zentraler Kern des Nachmittags waren, wurden von den Jugendlichen selbst geleitet.
So konnten in diesem neuartigen Rahmen Vertreter aus der Politik, zu denen u.a. die Landtagsabgeordneten Doris Rauscher (SPD), Thomas Huber (CSU), Johannes Becher (Bündnis 90/Die Grünen) und der Landsberger Landrat Thomas Eichinger gehörten, Repräsentant:innen der Fachwelt sowie betroffene Jugendliche in einen intensiven und ungefilterten Gedankenaustausch gehen.
LVkE-Mitglied Dr. Norbert Beck, der die Gesamtveranstaltung moderierte, zeigte sich vom Teilnehmer:innenkreis und der Teilnehmer:innenmenge beeindruckt und spannte in seiner Begrüßung den Bogen zur letztjährigen erfolgreichen Imagekampagne des Landesverbandes: „Die heutige Veranstaltung ist als Fortführung von ‚Fragt doch mal uns!‘ zu betrachten. Und die Antwort lautet hier eben ‚Wir sprechen mit!‘“
Dr. Harald Britze, stellvertretender Leiter der Verwaltung des Bayerischen Landesjugendamtes, hielt im Anschluss daran einen spannenden Impulsvortrag, in welchem er wichtige Aspekte von Partizipation erläuterte, vor allem in Hinblick auf das neue Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen. Hierbei war es Dr. Britze wichtig, Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe u.a. als Werkzeug zur Befähigung zu begreifen. Denn „Teilhabe hat viel mit Zuhören, Befähigen, Beraten zu tun. Junge Menschen und deren Eltern sollen dadurch auch befähigt werden, eigenständige und sinnvolle Entscheidungen zu treffen.“ In diesem Zusammenhang werde künftig auch die Beratung der Klient:innenseite hinsichtlich Rechte und Möglichkeiten immer mehr an Bedeutung gewinnen und das Gesicht der Kinder- und Jugendhilfe nachhaltig verändern.
Doch dieser Prozess hat durchaus seine Berechtigung, begreift man Partizipation auch als effektives Mittel zur Prävention: Denn wenn junge Menschen gestärkt werden, können negative Entwicklungen verhindert werden und junge Menschen sich besser schützen, resümierte Dr. Britze.
Im Anschluss an diesen fachlichen Input kamen die Landtagsabgeordneten Doris Rauscher (Vorsitzende im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Jugend und Familie), Thomas Huber (stv. Vorsitzender für Arbeit, Soziales, Jugend und Familie) und Johannes Becher (Mitglied im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Jugend und Familie) zu Wort, alle drei aktive und engagierte Mitglieder des Landtagsausschusses für Arbeit, Soziales, Jugend und Familie.
In ihrem Eingangsstatement plädierte Frau Rauscher dafür, schon die Jüngsten unserer Gesellschaft im Sinne von Partizipation einzubinden. Dies sei wichtig im Sinne von Demokratieförderung.
Ferner äußerte die Politikerin die Hoffnung, dass Kinderrechte bereits in dieser Legislaturperiode im Grundgesetz verankert werden. Des Weiteren machte die Sozialausschuss-Vorsitzende auch den adäquaten Umgang mit Sprache als wichtigen Bestandteil von Partizipation aus. „Wir müssen uns selber sensibilisieren, wo sind wir unachtsam?“, so Rauscher, die in diesem Zusammenhang lobende Worte für den Landesverband fand: „Der LVkE ist hier ein gutes Beispiel: Sie sind sehr engagiert, den Begriff Partizipation ernst zu nehmen. Ich arbeite daher immer gerne mit dem LVkE zusammen.“
Thomas Huber, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses, zog eine vorläufige Bilanz über den Stand von Partizipation in Bayern: „Es gibt bereits sehr viele Partizipationsmöglichkeiten in den verschiedensten Bereichen, wie in den Kommunen oder in der Schule. Dennoch ist Partizipation noch nicht da, wo wir hinwollen. Partizipation ist ein stetiger Prozess.“ Der Politiker stellte daher wichtige nächste Schritte in Aussicht: „Ein Bayerisches Gesamtkonzept zur Stärkung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen wird kommen.“
Als bedeutenden Baustein hierbei erachtet Herr Huber die Arbeit des Landesheimrates Bayern. Dieser sei „ein Erfolgsmodell“, welches demnächst sogar noch an Bedeutung gewinnen könnte: „Wir überlegen mit der Staatsregierung, dieses Instrument auch auf Einrichtungen für junge Menschen mit Behinderung auszuweiten.“
Der Abschluss der politischen Statementreihe kam von Johannes Becher. Dieser ließ biographische Aspekte miteinfließen: „Partizipation war die Grundlage für meinen Einstieg in die Politik. Sie hat mich als Mensch weitergebracht, weil ich Vertrauen bekam und auch zurückgeben konnte.“ Daher liegt ihm das Thema besonders am Herzen. Wichtig sei es jedoch, Partizipation ernst zu nehmen und Alibibeteiligungen zu vermeiden.
Im Anschluss fanden drei Workshops teil zu verschiedensten Aspekten von Partizipation:
So wurden im ersten Workshop „Überregionale Beteiligungsmöglichkeiten des Landesheimrates und darüber hinaus“ eruiert: Insgesamt wurde das bisher Erreichte als sehr positiv erachtet, dennoch gibt es noch Ausbaupotentiale bzgl. Reichweite des Gremiums und der bundesweiten Vernetzung.
Als zukünftige Schwerpunktthemen des Landesheimrats wurden u.a. Angebote sexueller Bildung, Übergangsmöglichkeiten für Care-Leaver:innen sowie Inklusion als neuer Zuständigkeitsbereich ausgemacht. Der Umstand, dass durch das neue Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen jedes Bundesland eine eigene Vertretung bekommen soll, fand durchweg Zustimmung.
Im zweiten Workshop ging es um „Mitreden bei der Hilfeplanung“. Die anwesenden Jugendlichen äußerten sich hier grundsätzlich positiv über dieses wichtige Instrument der Kinder- und Jugendhilfe, würden sich jedoch mitunter mehr informellen Kontakt zum Jugendamt, sowie mehr Aufklärung über die persönlichen Rechte wünschen. Insgesamt sei eine gelingende Kommunikation das A und O, um Hilfepläne zu einer wertvollen Vertrauenssache werden zu lassen.
Im dritten Workshop wurde die „Partizipation im Antonia-Werr-Zentrum“ in St. Ludwig als Best-Practise-Beispiel dargestellt: Denn die tradierte LVkE-Jugendhilfeeinrichtung verfolgt einen besonders konsequenten Ansatz hinsichtlich Partizipation, der die jungen Menschen bzw. den Heimrat als Partner:innen auf Augenhöhe in verschiedensten Gremien, Gruppenleiterkonferenzen und Konzeptarbeit teilhaben lässt. Im Rahmen dieser fruchtbaren Kooperation, die Jugendliche als Expert:innen in eigener Sache mitwirken lässt, konnte sogar ein gemeinsames Buch über Traumapädagogik herausgegeben, sowie ein gemeinsames Handlungskonzept hinsichtlich selbstverletzendem Verhalten erstellt werden.
Im Rahmen der Fachveranstaltung „Wir sprechen mit…“ wurde der LVkE erneut seinem Anspruch gerecht, als Dialogplattform, über alle Ebenen hinweg, zu dienen. „Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, die Verbindung zwischen Kindern, Jugendämtern und der Politik herzustellen“, so LVkE-Vorsitzender Michael Eibl in seinem Schlusswort. „Vertrauen fassen, Zuhören, Miteinander sprechen, all das haben wir heute erfolgreich gepflegt“, schloss Eibl.